Der "Kasten" von Niederkraig
Kärnten/ Bez. St.Veit / Frauenstein-Obermühlbach

 

Niederkraig - Kasten: Ansicht von der Burg Hochkraig.
Niederkraig - Kasten: Ansicht von der Burg Hochkraig.

Außerhalb des Bereichs der Kernburg von Niederkraig steht, westlich unterhalb des Wohnturms, ein weiteres mittelalterliches Gebäude, das in der Literatur völlig ignoriert wurde, es sich aber doch verdient hat näher erforscht zu werden.
Mangels Literatur gibt es keinen etablierten Namen für das Gebäude, ich will es daher als „Kasten“ bezeichnen, was für ein Wirtschaftsgebäude stehen soll.
Der Kasten ist ein längsrechteckiges Gebäude von etwa 23x10 Metern, das auf etwa halber Höhe des Burgbergs parallel zum Hang orientiert errichtet wurde. Wegen der Hanglage ist das 1. Obergeschoss von der Rückseite beinahe ebenerdig zugänglich, während das Erdgeschoss an der Talseite um etwa 3 Meter erhöht liegt.
Die Grundstruktur des Gebäudes erinnert an ein Mittelflurhaus, mit dem Zugang in der Gebäudemitte, und zwei etwa gleichgroßen, längsrechteckigen Trakten zu beiden Seiten.

Niederkraig Kasten: Wandabwicklung der Talseite.
Niederkraig Kasten: Wandabwicklung der Talseite.

Erdgeschoss: 
Der Zugang an der Talseite liegt etwa 3 Meter über dem Außenniveau und ist auch im Gebäudeinneren gegenüber den angrenzenden Räumen um etwa 80 cm erhöht. Es scheint, dass man den "Hocheinstieg" künstlich erhöht hat um eine Wehrhaftigkeit zu erzeugen, oder zumindest vorzugaukeln. Ein aus Steinplatten gemauertes Rundbogenportal ist von zwei hoch gelegenen Lichtschlitzen flankiert, die den Mittelflur belichten sollten, wenn die Türe verschlossen ist. Daraus ist zu schließen, dass an der heute völlig verfallenen Bergseite kein Fenster bestand.

Vom Mittelflur führen zwei  Türen in die beiden Seitentrakte, deren Fußbodenniveau um etwa 80 cm tiefer liegt als der Mittelflur, wobei der Höhenunterschied mit einer Treppe unmittelbar hinter der Türe überwunden wurde. Der Raum an der Südseite hatte eine von innen mittels Riegelkasten versperrbare Türe.
Der nördliche Raum war in der Länge noch einmal geteilt, wobei am hangseitige Teil querrechteckige Licht- bzw. Lüftungsschlitze auffallen, die nur ganz knapp unterhalb der Decke angebracht sind. Die Türe die keinen Riegelkasten hat, also wahrscheinlich von aussen versperrbar war,  nimmt schon auf diese Zweiteilung Bezug und ist daher etwas aus der Mitte gerückt.
Als primäre Fensteröffnungen sind in beiden Räumen an der Talseite jeweils zwei und an der Schmalseite jeweils ein ungewöhnlich hoher Lichtschlitz von etwa 210 cm Höhe erhalten.  Im südlichen Raum ist der Lichtschlitz an der Schmalseite nachträglich zu einer Türe aufgeweitet worden.

Niederkraig Kasten: Südliche Schmalseite
Niederkraig Kasten: Südliche Schmalseite
Niederkraig Kasten: Mauerwerk
Niederkraig Kasten: Mauerwerk
Niederkraig Kasten, Grundriss
Niederkraig Kasten, Grundriss

1. Obergeschoss.

Die Dreiteilung des Gebäudes wiederholt sich im 1. Obergeschoss, wobei die beiden Quermauern wahrscheinlich nicht mit der talseitigen Fassade verzahnt waren.

Abdrücke von eingemauerten Holzbohlen an der Südseite weisen auf die Existenz einer Bohlenstube hin, die an der Südostecke des Gebäudes verbaut war. Als Befensterung der Stube lässt sich nur noch ein großteils verfallenes Fenster in einer tiefen Fensternische an der südlichen Schmalseite rekonstruieren. Die Fenster an der Talseite lagen schon außerhalb der Stube und waren Teil eines L-förmigen Raumes, der ähnlich wie im Wohnturm von Niederkraig, die Stube auf zwei Seiten umschloss. An der Talseite wird ein stark verfallenes, wahrscheinlich sekundär ausgebrochenes Sitznischenfenster von zwei vermauerten Rechtecktüren flankiert, die wohl auf einen talseitig angebrachten Balkon geführt haben.

Die Decke über dem Erdgeschoss war eine über die Längsseite des Raumes gespannte Holzbalkendecke, die von fünf über die Schmalseite verbauten Unterzügen verstärkt wurde. Auf die oberen Balkenlage wurden "Schwartlinge" mit der Waldkante nach oben gelegt, die als Unterlage für eine Estrichschicht dienten.

Niederkraig-Kasten: Abdrücke der Bohlenstube.
Niederkraig-Kasten: Abdrücke der Bohlenstube.
Niederkraig-Kasten: Sitznischenfenster im 1. OG
Niederkraig-Kasten: Sitznischenfenster im 1. OG, Mittelteil über dem Hocheinstieg.

Ein weiters rechteckiges Sitznischenfenster liegt über dem Eingang in der Gebäudemitte, ein drittes mittig in der Talseite des nördlichen Raumes. Dieses Fenster wird von zwei knapp unter der Decke gelegenen Lichtschlitzen flankiert.

Die gegen den Hang gerichtete Rückseite des 1. Obergeschosses scheint ursprünglich nur aus einzelnen Mauerpfeilern bestanden zu haben, wobei die Zwischenräume mit Holzwänden geschlossen wurden. Diese Konstruktion ist bei bäuerlichen Nebengebäuden üblich, aber auf Burgen kaum zu finden. Es scheint, dass man an der zur Straße orientierten talseitigen Fassade die Optik der wehrhaften Burg aufrecht erhalten wollte, an der Rückseite aber eher kostenorientiert und funktionell gebaut hat.

Kraiger Schlösser: Höchenschichtenplan, links Hochkraig, rechts Niederkraig, Kasten gelb, Aquadukt und vermutete Wasserleitung blau. (Basis Kagis)
Kraiger Schlösser: Höchenschichtenplan, links Hochkraig, rechts Niederkraig, Kasten gelb, Aquädukt und vermutete Wasserleitung blau.
(Quelle:  kagis.ktn.gv.at)

Wenn man nun über die Funktion dieses Gebäudes nachdenkt, fällt der Zusammenhang mit dem direkt darunter stehenden Aquädukt auf. Auf dem nur etwa 300 x 200 Meter großen, isoliert stehenden Burgberg von Niederkraig kann mit einer Quelle wohl nicht gerechnet werden, wohl aber auf dem Hang der südlichen Talseite, der den Ausläufer eines größeren Bergmassivs bildet.

Der ALS-Scan (zu sehen auf https://kagis.ktn.gv.at/) lässt im Gelände eine gerade Linie erkennen, die am Gegenhang (der die Burg Hochkraig trägt) in etwa 740 m Höhe beginnt, auf das  auf etwa 700 M stehende Aquädukt zuläuft, und von dort den Burgberg von Niederkraig hinaufläuft bis zur Höhe 740, wo der Kasten steht. Die Hochburg von Niederkraig liegt auf etwa 760 Metern der Wohnturm sogar auf 770 Meter.
Es scheint also, dass der Kasten als Brunnenhaus für Niederkraig verwendet wurde und dafür auf einem Niveau knapp unterhalb der am Gegenhang gelegenen Quelle errichtet wurde, damit das Wasser in einer Druckleitung bis zum höchstmöglichen Punkt fließen konnte. Die restlichen 20 Höhenmeter bis zur Burg musste das Wasser dann wohl wieder getragen werden.

 

Niederkraig: Aquädukt
Niederkraig: Aquädukt
Niederkraig Kasten: querrechteckige Lüftungsöffnungen
Niederkraig Kasten: querrechteckige Lüftungsöffnungen

Das Aquädukt von Niederkraig wird allgemein in das 16. Jhd datiert, der “Kasten“ dürfte an Hand der Detailformen aber doch etwas älter sein. Da die Brunnenstube, die im Raum an der Nord-Ost-Ecke mit den knapp unter der Decke gelegenen querrechteckigen Lüftungschlitzen vermutet werden darf, aber schon primär mit dem Gebäude errichtet wurde, scheidet ein nachträglicher Umbau als Erklärung für die Zeitdifferenz aus.
Denkbar wäre, dass es schon um 1400 eine Druckwasserleitung mit einem Höhenunterschied von etwa 40 Metern gegeben hat. Die technische Herausforderung ist enorm, dann am tiefsten Punkt ergibt das einen Druck auf das Leitungsrohr von 40 Tonnen/m2. 

Das Material der Wahl für spätmittelalterliche Druckwasserleitungen waren handgebohrte Holzrohre, sog. Deicheln: Ein bis zu 3 Meter langer Baumstamm wurde mit Handbohrern von beiden Seiten axial mit immer größer werdenden Bohrdurchmesser aufgebohrt, bis ein durchgängiger Kanal von etwa 5-6 cm Durchmesser entstand. Die einzelnen Rohrstücke wurden mit eisenen Schellen verbunden, eingegraben und mit Steinen beschwert. Da nasses Holz aufquillt, dichten sich die Rohre selbst ab und sind auch recht gut haltbar, solange sie ständig mit Wasser gefüllt sind.

Bei einer aus Deicheln gebauten Soleleitung am Hallstättersee musste eine Höhenunterschied von nur 23 Metern schon mit einem Kunstgriff überwunden werden, indem man die Leitung auf drei Einzelleitungen mit geringerem Querschnitt aufteilte. ( https://de.wikipedia.org/wiki/Deichel )

Die 40 Meter Höhenunterschied in Niederkraig ergeben einen Druck von etwa 4 Bar, an einer undichten Stelle würde das Wasser gute 30 Meter hoch spritzen (1).
Es wäre also denkbar, dass das Aquädukt erst 100 Jahre später auch zur Reduzierung des Höhenunterschieds um etwa 15 Meter und der daraus resultierenden Reduzierung des Wasserdrucks errichtet wurde.

 

(1) wer das nachrechnen möchte, die Formel wäre (angeblich), bei einer angenommenen Austrittsöffnung von 1 cm2 :
h = 300000 kg/(ms^2) / (9.81 m/s^2 * 1000 kg/m^3) = 30,57 m