Wien Griechengasse
Wien / 1.Bezirk Innere Stadt / Griechengasse

Die Stadt Wien ist nicht gerade reich an mittelalterlichen Profanbauten und der größte Teil davon ist öffentlich kaum zugänglich. (z.B. die Hinterhöfe in der Bäckerstrasse oder der Heiligenkreuzerhof).

Eine der wenigen Ausnahmen ist die gotische Fassade an der Südseite der Griechengasse im Ersten Bezirk. Die Griechengasse ist eine Quergasse der Rotenturmstrasse, die vom Stephansplatz leicht abfallend zum Schwedenplatz und damit zum Donaukanal führt. Die hier beschriebene Hausfassade ist das einzige erhaltene gotische Ensemble Wiens und ist nach wie vor ein Geheimtipp für Wienbesucher.

 

Wien Griechengasse:
Fassadenabwicklung der Griechengasse: meine Skizze ist kein vermessener Plan, sondern nur eine Skizze ohne Maßstab, um die wesentlichsten Bauteile und ihren Zusammenhang darzustellen.
Die Gebäudenummern im Text gehen von rechts nach links.
An der Südseite der Griechengasse hat sich auf einer Länge von etwa 50 Metern eine aus fünf Häusern bestehende Straßenfassade erhalten, die im 13. und 14. Jahrhundert errichtet wurde. Obwohl sie immer wieder durch Umbauten verändert wurde, sind sowohl Gesamtstruktur als auch Details des mittelalterlichen Straßenzugs in einem für Wien einzigartigen Ausmaß erhalten geblieben.
Die heute sichtbaren gotischen Detailformen wurden erst bei einer Sanierung in den Jahren 1986-1988 freigelegt. Davor hatte das Gebäude eine langweilige, von regelmäßig angeordneten Rechteckfenstern durchbrochene Fassade, mit dem für das Nachkriegs-Wien typischen staubgrauen Putz. Bei der von Gerhard Seebach durchgeführten Bauforschung wurden dann unter einer dicken Putzschichte die Reste der gotischen Fassade freigelegt. Die heute sichtbaren Fenster und Fassadenelemente wurden bei der darauf folgenen Restaurierung an Hand von teils nur geringen, aber aussagekräftigen Befunden  wiederhergestellt (1).
Die Fassade ist also zu einem guten Teil rekonstruiert, jedoch nicht frei erfunden.  Das “ahistorische Herauspräparieren von Schatzfunden” (2) wie es in der Griechengasse praktiziert wurde, wird inzwischen schon wieder kritisch gesehen, den Freund mittelalterlicher Detailformen und so manchen Touristen freut es aber immer noch.
Wien Griechengasse, 1940,
Wien Griechengasse, 1940, Ansicht von Osten (Gebäude 5). Quelle: https://www.geschichtewiki.wien.gv.at. WStLA, Fotos aus dem Bereich Stadtplanung, FB2: 4500/1493
derselbe Blickwinkel heute, mit den freigelegten und restaurierten gotischen Fenstern.
Wien Griechengasse: Blick aus Richtung Westen auf die Südfassade, Gebäude 2 und 3

Gebäude 1, Wohnturm:

Die Westecke des Gasse wird von einem gotischen Wohnturm aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts eingenommen. Er ist  noch in Höhe von 4 (heutigen) Geschoßen erkennbar, das 5 Geschoß wurde erst im 17. Jh. aufgesetzt. Als einzige primäre Fensteröffnung hat sich ein schmales, heute vermauertes Fenster mit Dreipass erhalten. Der Wohnturm stand ursprünglich frei, wie man an der beidseitig erhaltenen Eckquaderung erkennen kann.

Wien Griechengasse
Wien Griechengasse: Gebäude 1
Wien Griechengasse
Wien Griechengasse: Gebäude 1, Fenster mit Dreipass

Gebäude 2:

Östlich an den Wohnturm schließt ein ursprünglich dreigeschoßiges Gebäude mit zwei Fensterachsen an. Es hatte keine Eckquaderung, wurde also wahrscheinlich nachträglich in die Baulücke zwischen dem Wohnturm (Gebäude 1) und dem Gebäude 3 eingestellt. Neben dem großteils freiliegenden Mauerwerk ist im 1.Obergeschoß das Fragment eines gotischen, spitzbogigen Fensters mit rot-weißer Fugenmalerie erhalten.

Wien Griechengasse, Gebäude 2
Wien Griechengasse, Gebäude 2
Wien Griechengasse, Gebäude 2
Wien Griechengasse, Gebäude 2, Fragment eines gotischen Fensters

Gebäude 3:

Gebäude 3 ist ein dreiachsiger, gotischer Wohnbau dessen repräsentative Fassade noch fast zur Gänze rekonstruierbar ist.
Das Gebäude selbst dürfte ebenfalls aus dem späten 13. Jahrhundert, die Fensteröffnungen im 1.OG aus Umbauten des 14. und 15. Jahrhundert stammen. Im Erdgeschoß ist in der Gebäudemitte ein rundbogiges Trichterfenster aus der Errichtungszeit erhalten. Es hatte ein doppelt getrichtertes Gewände, in der Mitte der Mauerstärke ist eine Steinplatte mit einem eingearbeiteten rundbogigen Lichtschlitz eingebaut.
Links neben dem Lichtschlitz liegen  zwei stark nach oben getrichterte, rechteckige Kellerfenster.

Wien Griechengasse, Gebäude 3
Wien Griechengasse, Gebäude 3, entzerrte Ansicht der Hausfassade
Wien Griechengasse, Gebäude 3
Wien Griechengasse, Gebäude 3. Erdgeschoß, rundbogiges Trichterfenster
Wien Griechengasse, Gebäude 3, vermauerte Kellerschachtfenster
Wien Griechengasse, Gebäude 3, vermauerte Kellerschachtfenster
Das 1.Obergeschoß wird geprägt von einer repräsentativen Fenstergruppe, von der nur die doppelt abgestufte Blendnische erhalten ist, während die darin liegenden Fenster vermauert bzw. durch rezente Rechteckfenster zerstört wurden. Der staffelförmig nach oben ansteigende Abschluss der Blendnische ist an den Ecken mit aufgeputzten Lilien und Kleeblättern verziert.
Die Fenstergruppe gehörte zu einer beheizbaren Stube. In der Blendnische darf man mehrere symetrisch angeordente Trichterfenster in zwei Ebenen annehmen, die den Wohnraum zu jeder Tageszeit bestmöglich mit Tageslicht versorgten.
Rechts neben der Fenstergruppe liegen zwei steinerne Kreuzstockfenster, deren gelbe Steingewände mit weißen Putzfaschen eingefasst werden. Während die Fenstergruppe noch aus dem 14. Jahrhundert stammen dürfte, sind die gestäbten Kreuzstockfenster erst in das 15. Jahrhundert zu datieren, also deutlich später als die Fenstergruppe. Wahrscheinlich wurden ältere Fenster durch die  besser verschließbaren Kreuzstockfenster ersetzt.
Die Breite und ursprüngliche Höhe der Fassade ist an der fast durchgehend erhaltenen (bzw. wieder ergänzten), gelben Eckquaderung noch gut erkennbar.
Wien Griechengasse, Gebäude 3
Wien Griechengasse, Gebäude 3: Kleeblätter an den Ecken der Putzfasche der Fenstergruppe

 

Wien Griechengasse, Gebäude 3
Wien Griechengasse, Gebäude 3: Ecklilien an der Blendnische der Fenstergruppe
Wien Griechengasse, Gebäude 3
Wien Griechengasse, Gebäude 3, stark ergänztes, gestäbtes Kreuzstockfenster. Ende 15. Jahrhundert.
Wien Griechengasse, Gebäude 3,
Wien Griechengasse, Gebäude 3, Kreuzstockfenster, Detail des Profils

Gebäude 4:

Gebäude 4 ist ein schmaler Bauteil zwischen den Gebäuden 3 und 5 : Im Erdgeschoß ist das spätmittelalterliche, leicht schräg zur Gebäudeachse versetzte Doppeltor erhalten. Es besteht aus einem rundbogigen Fahrtor und einem kleineren, ebenfalls rundbogig geschlossenen Manntor.
Darüber wurden die Reste eines abgebrochenen Erkers freigelegt und sichtbar belassen. Deutlich sind die vermauerte Öffnung des Erkers und die beiden ehemaligen Spionfenster zu erkennen. Die Profile der seitlichen Erkerfenster sind noch erhalten und lassen sich an Hand der Verstäbung auf das ausgehende 15. Jahrhundert datieren.

Wien Griechengasse, Gebäude 4
Wien Griechengasse, Gebäude 4: Fahr- und Manntor
Wien Griechengasse, Gebäude 4
Wien Griechengasse, Gebäude 4, abgebrochener Erker mit zwei Spionfenstern, um 1500.
Wien Griechengasse, Gebäude 4: Detail des Spionfensters
Wien, Griechengasse, Gebäude 5: Kellerfenster
Wien, Griechengasse, Gebäude 5: Kellerfenster

Gebäude 5:

Ein über 20 Meter breiter Bau, der im frühen 14. Jahrhundert errichtet und danach mehrfach massiv umgebaut wurde, schließt den Gebäudekomplex im Osten ab.
Auch hier ist im ehemaligen Kellergeschoß eines der zeittypischen, stark nach oben getrichterten Kellerfenster zu sehen.
Das markanteste Element der Fassade ist eine Fenstergruppe im 1.Obergeschoß, die in einer breiten, aus drei Bögen bestehenden Blendnische liegt. Die Bögen liegen auf zwei kegeligen Konsolen auf. Sämtliche Fenster innerhalb der Blendbögen wurden an Hand von geringen Befunden rekonstruiert und bestehen aus drei Rundfenstern in einer oberen und vier stichbogig geschlossenen Rechteckfenstern in einer unteren Ebene. Die in das ausgehende 14. Jahrhundert zu datierende Fenstergruppe ist von außergewöhnlicher Dimension. Die Höhe von etwa drei Metern läßt auf eine ungewöhnlich große und vor allem hohe Stube schließen.

Auch hier fällt auf, daß die in Städten gelegenen Fenstergruppen deutlich aufwändiger und „verspielter“ gestaltet sind, als ihre Gegenstücke auf Burgen. Die wahrscheinlichste Begründung für dieses Phänomen liegt wohl in der deutlich geringeren Betrachtungsdistanz. Sie waren von der Straße aus kurzer Entfernung  zu sehen waren, was kleine Details und Verzierungen erst sinnvoll macht.

 

Wien Griechengasse, Gebäude 5. Die aus geringen Befunden rekonstruierte Fenstergruppe
Wien Griechengasse, Gebäude 5. Die aus geringen Befunden rekonstruierte Fenstergruppe
Im darüber liegenden Stockwerk haben sich die Reste von 4 Rechteckfenstern mit steinernem Mittelpfosten erhalten. Dieser Fenstertyp mit umlaufend breit abgefastem Gewände kann auch noch ins 14. Jahrhundert gestellt werden, also gleichzeitig mit der Fenstergruppe. Die Fenster wurden bei einem massiven – über eine Bauinschrift datierbaren – Umbau von 1611 vermauert und durch kleinere Rechteckfenster ersetzt, bei dem auch die Geschoßhöhen des gesamten Gebäudes verändert wurden. Spätestens bei diesem Umbau wurde auch die Fenstergruppe vermauert und die Öffnungen durch Rechteckfenster ersetzt. Damals wurde Gebäude (4 ) und (5 ) zu einer Einheit zusammengefasst, die auch heute noch durch die rote Eckquaderung erkennbar ist.

 

 

Wien Griechengasse: Konsole der Fenstergruppe
Wien Griechengasse, Gebäude 5: Konsole der Fenstergruppe
Wien Griechengasse: Gebäude 5, zweiachiges Rechteckfenster,
Wien Griechengasse: Gebäude 5, zweiachiges Rechteckfenster, umlaufend breit gefast.
Wien Griechengasse, Gabäude 5, Bauinschrift von 1611
Wien Griechengasse, Gabäude 5, Bauinschrift von 1611
Wien Griechengasse, Gebäude 5. Putzfaschen und Färbelung des Umbaus von 1611

Wegbeschreibung:

Wegbeschreibung: Vom Stephansplatz nach Norden in die Rothenturmgasse, nach etwa 200 Metern rechts ab in die Griechengasse.

 

Literatur:

(1) Gerhard Seebach, Bauhistorische Analyse und neue Fassadengestaltung am Haus Wien 1, Griechengasse 4 (Steyrerhof), Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege (ÖZKD) LVI, Wien 2002, S. 454–461.

(2) Christoph Tinzl: Cutaner Mehrwert – von Bauforschern und Restauratoren aus Sicht eines Denkmalpflegers,  in Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege LXXII, 2018, Heft 1/2,  S. 47

(3) GeschichteWienWiki Eintrag über den Steyrerhof / Griechengasse 4